1996, universitätsintern

 

Merda - liebender Aus-Druck

Pier Paolo Pasolinis politische Mystik

 

Mehr als an diesen vorliegenden Computer-Ausdruck gemahnt Pasolonis Lebens-werk an den der Tube, entworfen von dem Augenblick her, da sie endgültig ausgedrückt ist. Gerade andersherum gedacht, als es moderner Logik schlüssig erscheint, nämlich "mittelalterlich" vom Tode ausgehend, quasi "rückwärts". Was das ganze Leben über zuvor hinten heraus kam, war vom Tode her belebt, voller Mikroben als lebenspendender Dünger für die Böden, in die sie fiel, die Scheiße.

Die Ästhetik seines Ausdrucks prägt bei Pier Paolo daher eine ‘Contaminazione’, vielfältige Genre und Stilmischungen, ‘unrein’ und verschmutzend verwendet als klärende Einlassung auf diese Welt. Seine Aussage: "Ich arbeite unter dem Zeichen der Kontamination" interpretiert sein Freund Giuseppe Zigaina: "Mit meinem ganzen Selbst, meinem eigenen Leben und mit meinem Werk liefere ich mich der totalen Kontamination aus."(1) Die Selbstbeschmutzung im Kunstschaffen ist Pasolinis Suche nach Wahrheit vor, über und durch die schmerzhaften Verhält-nisse hindurch. Aus-Drückend bildet er (sich als) ein prophetisches Zeichen, das er gegen den verzierenden Zeitgeist in die Kultur schreibt. "Entweder sich aus-drücken und sterben oder ohne Ausdruck unsterblich (immor(t)ale) sein... Doch meine Idee des Todes...war eine Idee des Verhaltens und der Moral: sie galt nicht dem, was nach dem Tode ist, sondern dem, was davor ist: nicht dem Jenseits, sondern dem Leben. Das Leben im Sinne eines ‘Erfüllens’, als verzweifelte, ungewisse und ständige Suche nach Trägern, Vorwänden und Beziehungen zu einer Perfektion seines Ausdrucks verstanden. Weltlicher kann man, glaube ich, kaum sein. Und ich glaube, eine Lebensanschauung auf einen in dieser Weise verstandenen Tod zu gründen steht nicht im Widerspruch zum erklärten Marxismus."(2)

Der Übersetzer des Zigaina-Buches ins Deutsche weist auf den verwandten Klang von "immorale" und "immortale" hin, dem noch die Homophonie von amassare (anhäufen) und amazzare (töten) hinzugefügt sei.
Im ‘Empirismo eretico’ schreibt Pasolini: "Der Tod ist es, der den plötzlichen Schnitt des Films unseres Lebens macht. Nur dank des Todes dient uns das Leben dazu, uns auszudrücken."(3)

Das Schnittprinzip seines Lebensfilms, aus der Perspektive des Todes rückblik-kend die zuvor unbestimmte Zeit real zu erschaffen, ist die "contaminazione" als beschmutzende Einlassung auf das ersehnte Ganze der zerstückelten, daher "schmutzigen" Welt, wie er sie sah und selbst war. Pasolinis contaminazione bringt keine Antagonismen hervor, sondern die "pastiche"(4) und das "Oxymoron"(5) als mystische Vieldeutigkeit, den Mandalas buddhistischer Meditationen vergleichbar.

Case arse della delizia. So soll sein Geburtsort im Friaul genannt worden sein, bevor er zum heutigen Casarsa della delizia sprachlich verschliffen wurde: "Verbrannte Häuser des Entzückens"(6). Solche Oxymora entfalten ihren Betrach-tern die Trauer der Namensgeber um ein geliebtes Stück Welt und die Lieben, die dort scheiterten. Es schwingt darin der Schmerz jüdischer Psalmdichtung: "Sammle meine Tränen in einem Krug."(7) Gedichtet nach dem unwiederbringli-chen Abfackeln dieser Häuser bei der türkischen Invasion im 15. Jahrhundert, dokumentiert der sehnsüchtige Ortsname über das Insistieren auf der Schmerz-haftigkeit jener Erfahrung hinaus, die apokalyptische Perspektive: durch ein kosmisches Gericht die Süßigkeit des Ortes neu herzustellen. "An Zions Steinen hängt das Herz deiner Knechte, um seine Trümmer tragen sie Leid!"(8)

Pier Paolo Pasolini wurde zur existenziellen Verkündigung einer politischen Mystik, die jüdische Apokalyptik, griechische Tragik und katholische Opfertheo-logie in "gnostischem" Eigensinn(9) verbindet, wie dieser Text zeigen soll.
Sein Lebenstext als Filmschnitt vom Tode her verweist auf die bewußte Inszenie-rung selbst der Todesstunde. In mehreren Gedichten hatte er ein ganz ähnliches Szenarium gemalt. Er verstand Sterben expressiv. Nicht als resignierten Freitod, sondern als Passionsgeschehen, zusammengesetzt aus dem Verrat des Freundes/ der Verhältnisse und seiner Hingabe an die Kraft des Aus-Drucks bis die Tube leer ist. Solche Weltliebe ist kontaminierend, denn wer sich mit Dreck abgibt, besudelt sich. Die (Hin-)Gabe, die er wurde, ist seine Kotsäule als Frucht liebenden Verdauens der apokalyptisch-tragisch scheiternden, aber zutiefst bekömmlichen Welt.

 

"Kreuzigung

Doch wir predigen Christus den
Gekreuzigten
den Juden ein Ärgernis, den Heiden eine
Torheit
PAULUS, Brief an die Korinther

"...mit einem Schluchzen roter Schmach,
im lautlosen Himmel
vor frischen und Seiner überdrüssigen
Augen: Tod, Geschlecht und Pranger.

Man muß sich aussetzen (weist darauf
der arme, angenagelte Christus?),
die Klarheit des Herzens verdient
jeden Hohn, jede Sünde
jegliche nackteste Passion...
(will dies das Kruzifix sagen?
jeden Tag das Geschenk opfern
jeden Tag verzichten auf die Vergebung
sich einfältig neigen über dem Abgrund).

Wir werden ausgesetzt sein am Kreuz,
am Pranger, den klaren Blicken wilder Freude,
dem Hohn enthüllen die Tropfen des Bluts
von der Brust auf das Knie,
sanft, lächerlich, zitternd
von Intellekt und Leidenschaft im Spiel
des von seinem Feuer verbrannten Herzens,
um zu zeugen vom Ärgernis."(10)

Die Konsumismus/Faschismus-Analyse bei Pasolini ist Kernstücken der "68er Philosophie" verwandt, z.B. der "Verankerung der Konterrevolution in der Triebstruktur", dem "eindimensionalen Menschen" oder der "repressiven Entsublimierung" bei Herbert Marcuse. Die folgenden Marcuse-Zitate zeigen deutlich die Nähe Pier Paolos zu Denkansätzen der "Neuen Linken" in den 60er Jahren:
* "Die utopische Idee einer ästhetischen Wirklichkeit muß bis zur Lächerlichkeit, die ihr heute notwendig anhaftet, ausgehalten werden. Denn vielleicht ist in ihr die qualitative Differenz zw. Freiheit und bestehender Ordnung angezeigt." (11)
* In der Auseinandersetzung mit der eindimensionalen Gesellschaft steht darum für die Kunst alles auf dem Spiel: Wenn es dieser Gesellschaft tatsächlich gelingt, die Bilder der Negation in den Individuen auszulöschen, dann ist das Ende der Kunst (als ihre Zerstörung) gekommen.(12)
* Ähnlich wie die Psychoanalyse zieht die subjektive bürgerliche Kunst ihre Kraft aus ihrem Veralten; geistige Kultur des Bürgertums verachtet und verneint die materielle; repräsentiert die Erinnerung noch ausstehender Befreiung; Aufbewah-rung verratener Ideale; subversive Ungleichzeitigkeit. (13)

Auch Pasolini sieht wie Marcuse seine Subjektivität als "die Wahrheit des (tendenziell "gnostischen" d.Verf.) Konzeptes der Seelenfreiheit, indem es objektiv festhält, daß im Diesseits bereits eine Form des gesellschaftlichen Lebens möglich ist, in der nicht die Ökonomie über das gesamte Leben der Menschen entscheidet.(14)

Während die Neue Linke der Religion jedoch keinen autonomen Status zuer-kennt, wie in verwandter Rolle der Kunst, kommt es Pier Paolo darauf an, seine "große Weigerung" (15) als "sublime Fähigkeit des Sprechens" zu artikulieren, "im Begriff, in das Vergessen nicht des gestrigen Tags, sondern der Jahrtausende hinabzutauchen." (16) Wenn bei den Marcusetexten zur Ästhetik der Utopie statt "Kunst" "Mysterium" oder "Religion" eingesetzt würde, entspräche dies im Wesentlichen Pasolinis Begrifflichkeit. Er versucht mit seinen "Heiligen Bildern", die ganz weit zurück und weit über das Jetzt hinausreichen, die mystischen Kräfte in die Kultur neu einzuschreiben bzw. ihre verbliebenen Reste in den Spuren aufzufinden und neu zum Leben zu erwecken. Er entwirft Erlösung damit als Vertiefung und Erweiterung der verdinglichten Existenz.

Pasolinis politisch-mystische Ideen reihen sich "postkirchlich" in die politischen Theologien Lateinamerikas, Afrikas und Europas ein, wie sie in den 50er bis 70er Jahren entstanden. Die "Bedrohtheit menschlicher Befreiungsgeschichte" (17) , d.h.die Möglichkeit ihres Scheiterns, sowie ihre Verwurzelung und Ermöglichung in der Erinnerung, deckt sich mit der zeitgleichen "politischen Theologie" in Europa und einem Teil der "Befreiungstheologien" im Trikont. Wesentliche Unterschiede sind deren Kontrapunkt zu griechischer Orgiastik und ein Befreiungsoptimismus, den Pier Paolo nicht teilt.

Zwar mühte er sich als Parteisekretär im dörflichen Friaul um Verständigung "seiner" Kommunisten mit der Democrazia Christiana. Er schrieb versöhnliche Wandzeitungen und warb für den gedanklichen Austausch beider Strömungen, deren Verwandtschaft ihm größer erschien, als die traditionellen Gegensätze. Aber nach diesen ideologischen Aussöhnungsversuchen kam rasch sein erster Prozeß wegen "widernatürlicher Unzucht mit Minderjährigen", der den Parteiaus-schluß nach sich zog. (18) Ideologisch bezog er im Folgenden die Eremitage seines Aus-Drucks und schloß sich keiner Weltanschauungs-Kommunität mehr an.

Die Lebendigkeit des toten Pier Paolo zeigte bereits die Frankfurter Rundschau eindrucksvoll an seinem 20. Todestag. Am 2.11.95 textet sie unter ein Selbst-portrait: "Aus der extremen Widersprüchlichkeit seiner gelebten Existenz und seines vielgestaltigen Werks tritt die Physiognomie eines Visionärs gesellschafts-politischer Veränderungen hervor, die zu seinen Lebzeiten als exzentrische Polemiken eines apokalyptischen Subjektivisten zurückgewiesen wurden, aber nun eingetreten sind. Pasolini lebt." (19) Dieser Osterikone zum Allerseelentag benachbart findet sich ein Bericht namens: "Ohne Götter leben?" anläßlich einer "‘Jacob-Taubes-Tagung’ in Heidelberg über die Situation der Religion in der Moderne". Als hätte sich Pasolinis Selbstportrait nebst FR-Hommage mit österlicher Potenz in den anderen Artikel geschlichen, finden sich hier zentrale Analysefragmente seiner ‘kritischen Theorie’: "It’s over", so Richard Rortys Urteil über den Wahrheitsanspruch und "die Situation des Religiösen in der modernen Welt: ‘Alle sollen glücklich werden. Ob mit einem Glauben oder am Strand, ist egal.’"Und: "Die ‘Politische Theologie’, Jacob Taubes Versuch, die revolutionären Kräfte des Glaubens, seine Widerstandskraft zu entfesseln...suchte man vergebens."

Alberto Moravia, ein enger Freund Pier Paolos, gesellte ihn bei seiner Grabrede unter die "Präraffaeliten".(20) Die "Pre-Raphaelite Brotherhood", eine verschwo-rene Künstlerclique, die, 1848 in London begründet, der romantischen Verklärung der Verhältnisse durch die herrschende Kunst den Kampf angesagt hatte. Moravia selbst können wir nicht mehr fragen, wie genau er das gemeint hat, denn auch er ist seit sechs Jahren tot. Vielleicht kommt jedoch auch mit dem Schweiß dieser Textproduktion ein wenig Leben in die Hadesschattenwelt dieses Römischen Freundeskreises.

Die Kritik der Präraffaeliten ging, wie ein Jahrhundert später bei Pier Paolo, Alberto Moravia und vielen Kunstschaffenden der italienischen Linken, gegen die Unaufrichtigkeit, Indienstnahme und Verstellkunst des Kulturbetriebs. Die sozia-le Frage der 2.Hälfte des 19.Jhdts. drängte sie zu prophetisch gemeinten Warnun-gen vor dem beginnenden Elend der Industriegesellschaft. Ihr gegenüber erschien die Kunst vor der Neuzeit noch sozialer Wärme und emotionaler Differenziertheit fähig, besonders das Tre- und Quattrocento mit Pietro Lorenzetti Perugino und Fra Angelico. Raffael dagegen, dessen Werk den Übergang ins Cinquecento schuf, markierte für sie in der Malerei, was der Rationalismus Descartes in die europäische Philosophie einschrieb: Die Unterordnung von allen und allem unter die Herrschaft "vernünftiger" Zwecke als die Selbstinthronisation des Menschen.

Einleuchtend nachvollziehbar erscheint diese Zeitenschwelle in den berühmten Bildnissen "Raffaels" (Raffaele d’Urbino 1483-1520), die den Medici-Papst LeoX. mit seinen Nepoten darstellen. Nepotismus war seit den Anfängen der Kirche ein Ärgernis, offiziell immer verboten, und erreichte in der Renaissance einen Höhepunkt. Die kirchenamtliche Vetternwirtschaft war eines der Liebling-sthemen der Reformatoren. Sie wurde im ausgehenden 15. Jahrhundert auch nicht etwa schamhaft versteckt oder von Raffael, Tizian und anderen als "aufbegehren-den Künstlern" ausgestellt, um verwerflichen Machtmißbrauch an den Pranger der Kunst zu stellen. Im Gegenteil: Nepotismus und Geldliebe werden deutlich gezeigt. Dies ist der Anfang des "psychologisch" gestalteten Portraits, dessen Novum und Kostbarkeit in den Augen des Zeitgeistes gerade die entblößte Skrupellosigkeit der Machtentfaltung war. Noch deutlicher wurde diese Indienst-nahme wachsender Perfektion, die von Raffaels psychologischer Malerei gelernt hatte, in den Bildnissen, die Tizian in der Mitte des Cinquecento vom Farnese Papst Paul III. schuf. In dessen Auftrag malte er hochbesoldet das Hohnlachen der systemförmig zurechtgeschnittenen Gestalt des Stellvertreters Jesu Christi, der in seiner Lehrvollmacht ex kathedra den Nutzen der fensterlosen Monade heiligspricht und die Selbstentäußerung verrät, die er doch repräsentiert. Der Papst als selbstinthronisierter Mensch zu Beginn der Neuzeit.

Für die Präraffaeliten standen folglich ‘saubere’(bei PPP "kontaminierte") gegen unlautere Farben, Aufrichtigkeit der Form gegen Konturlosigkeit im Sinne eines fehlenden Rückgrats "seit Raffael". So verbanden sie eine Faszination an den neuen Technologien mit ihrem Ausdruckspotential, besonders in der Fotographie, mit Anknüpfungsversuchen an spätmittelalterliche Sujets und Ausdrucksformen. Wenn auch einzelne Protagonisten(21) von einer rigiden protestantischen Ethik bestimmt waren, wußte die Mehrzahl sich kirchenkritisch. Dabei fand die Entmythologisierung der christlichen Motive im Sinne der Religionskritik des 19.Jahrhunderts, z.B. der sog. "Leben-Jesu-Forschung", ihren künstlerischen Ausdruck. So wurde Maria nicht mehr als Himmelskönigin, sondern als einfache Frau vom Lande dargestellt.(22) Die Schwerpunktsetzung bei religiösen Werken und christlicher Formensprache des Ausdrucks bis in die spezifisch kirchliche Kultgestalt der Bildanordnung, etwa im sehr häufig geschaffenen Triptychon, steht schroff zur ausdrücklich antikirchlichen, besonders jedoch antirömischen Position der Gruppe.
Bereits der Name "Präraffaeliten" distanzierte die Londoner Gruppierung von den rund 50 Jahre älteren, gleichfalls als Gegenbewegung zum herrschenden Klassi-zismus in Wien begründeten Lukasbund und ganz pointiert von den in diesem Umfeld rekrutierten "Nazarenern" in Rom. Diese nannten sich so, weil sie die Haartracht Raffaele d’Ubrinos (und Dürers) trugen, angeblich wie Jesus, nämlich schulterlanges, in der Mitte gescheiteltes Haar. Sie bezogen sich in ihren Werken dezidiert auf Raffael und strebten eine "neudeutsche religiös-patriotische"(23) Kunst an, die ausdrücklich Lehramtsbezogen und voller ultramontanistischer Gefühlswallungen den bis zum Abgeschmackten duplizierten Stil des Katho-lizismus im Ottocento prägte. Per "Neoscholastik" wurde mit Geschichtskon-servierung/-klitterung versucht, längst geschliffene Bastionen in Philosophie und Politik zu retten, was gründlich mißlang(24).

"Wo nichts ist, kann nichts gerettet werden; was fällt soll man stoßen und wer zu spät kommt, den bestraft das Leben", so etwa dachten die Präraffaeliten. Vielleicht ist hier die Nähe zu Pier Paolo am sinnenfälligsten, einschließlich der Vorliebe für Kurzhaarschnitte, die letzterer mit der Kritik an den ungestalten Wohlstandsärschen der 70er Jahre verband: "Wenn ich über Haare spreche, kann ich über Ärsche nicht schweigen."(25) Die Gestalt der "Mamma Roma" kann durchaus als geerdete Himmelskönigin im Sinne des britischen Kunsttheoretikers John Ruskin (1819-1900) verstanden werden, auf den sich die Präraphaeliten in ihrer Ikonographischen Übersetzung mittelalterlicher Motive gern bezogen(26). Der Film ist mit mariologischen Anspielungen übersät, was eine eigene Untersuchung wert wäre; ebenso die Welt des "Acatone" als Übersetzung der Matthäuspassion ins sottoproletariato der ragazzi di vita in den Römischen Slums. Selbst der Tod der Beterin vor dem Madonnenaltar im Salo der Faschisten zeigt die verlorene Freiheit des Gebetes vor der Zeit der Totalverzweckung. Das gepeinigte Mädchen im Scheißetopf wird als weiblicher Jesus zur "Misericordia domini"(27) des späten Mittelalters (vor Raffael), wenn sie mit dem Gekreuzigten den 22.Psalm beginnt: "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?!"

Pasolinis Bedenken gegen die Zeitenwende nach der Renaissance bis zur Wohl-standsbefreiung der Lüste in den 70er Jahren sind größer, als gegen die Repres-sionen vergangener Epochen. Das galt für ihn selbst aus seiner Perspektive als (jung-) männerbegehrender Mann. Schließlich konnte er seinen Lüsten im Konsumismo weit unbedenklicher leben, als das im Italien der beginnenden Inquisition möglich gewesen wäre, zur Zeit des von ihm und den historischen Präraffaelliten besonders verehrten Perugino (1448-1523), in dessen Fußstapfen Raffael seine Subtilitäten zu entfalten lernte. Während darin die Schweinereien der Macht verklärt wurden, klärten jene im kreuzweggleichen passionierten Schultern der faktischen Kontaminazione, den Dreck durch ihre Werke, die "unter dem Zeichen der Kontamination"(28) geschaffen wurden, durch hingebungs-volle Weiter-Verdauung auf.

Möglicherweise war gerade der Schritt von Perugino zu Raffael jener, in der die Inquisition von Spanien kommend kurz vor dem neuen Jahrhundert die männer-begehrenden Männer entdeckte, sie durch Verfolgung hervorbrachte. Die Sodomiter als "Ketzer" erfuhren seitdem ihre emanzipatorische Selbst-Hervorbringung bis hin zu uns Schwulen des 20.Jahrhunderts. Pasolini war kein schwuler Mann, sondern eher eine Kombination aus Sodomit des Cinquecento und dorischem Jünglingsverehrer, unpassenderweise mitten im 20. Jahrhundert. Ihn interessierten besonders die "eigentlich" Mädchen begehrenden Jungs und er schätzte das Ersatzhafte ihrer Hingabe, die er mit Geld oder Geschenken zu erkaufen hatte.(29) Er teilte den Aufklärungsoptimismus zur Austreibung des in seiner Sicht eben nicht "finsteren" Mittelalters nicht, der die Schwulenbewegung seiner Tage leitete.(30) Inquisition, Hexenverfolgung &Co. bilden in "präraffaeliti-scher" Logik eher Brandopfer für die Errichtung des vernünftigen Wertmonopols als daß neuzeitliche Aufklärung, "Humanismus" oder "Demokratie" für fähig erachtet würden, alte Finsternisse aufzuhellen. Im Gegenteil, Pasolini wird nicht müde, die Perfektion des "konsumistischen Völkermordes" anzuprangern, der sowohl zahlenmäßig wie in der Gründlichkeit seiner Kult(ur)zerstörung mittelalterliche Grausamkeit weit übertrifft. "Nach Raffael" zieht er eine zielbewußte Linie zu Konzentrationslagern, zu Stalinismus und den Hunger- und Kriegstoten der derzeitigen Weltmarkt-Gesellschaft.

In dieser Perspektive verachtete Pier Paolo besonders Haartracht und Gerüche der befreiten Konsumkinder seiner Zeit, ganz verwandt der präraffaelitischen Mißachtung nazarenischer Langhaarmode. Seine Obsession von kahlrasierten Nacken "in denen die Männlichkeit erstrahlt" (31) widmet er seitenlange Oden, während er über Männer mit Frisuren in ebenso endlosen Tiraden schwadro-niert.(32) Die Art des Zustandekommens und die Ausgestaltung sexueller Beziehungen konzipiert Pier Paolo zwar auch als "Überschreitung", jedoch nicht des moralischen Verbotes wie bei Bataille(33), sondern (als Entäußerung) seiner selbst in radikaler Einlassung auf die Kontaminazionen, d.h. "in" den tatsächlichen Gewordenheiten der Obsessionen. Dabei ist das begehrte Wesen durchaus "geopfertes" Objekt im Sinne Batailles, in der Erniedrigung des geschlechtsverwandelten Carlo zur "Hündin"(34) oder im exhibitionistischen Onanieren vor kleinen Mädchen im Park: "Ein Wunder, das mit der zügellosesten Befriedigung zum Abschluß kommen kann (der Blick des Mädchens ist auf ihn gerichtet, hat an der Enthüllung seines Geheimnisses und am Taumel teilgehabt, den diese Enthüllung entfesselt, wenn er sich wieder und wieder fest anpackt...) oder in einer Tragödie enden kann: gerade auf dem Höhepunkt gibt es etwas, das das Mädchen von dort wegholt...als Beuteopfer einer unheilbaren Enttäuschung, dem Todeswunsch nahe und der schrecklichen Einsicht, daß die Wirklichkeit mit seinem Traum nicht zu versöhnen ist".(35) Offensichtlich "opfern" Pasolinis Gestalten ihre PartnerInnen nicht (36), wie jener de Sade fortschreibende Mu-seumsdirektor. (37) Stattdessen sind sie durchdrungen von der schmerzvollen Sehnsucht der Abschaffung der Opfer und ihrer Logiken des Begehrens, wie am Ende der Vergewaltigung der "Hündin": "...sein Glied in Samen aufzulösen wie einen Wachsstock."(38)

Pasolini engagierte sich literarisch für die ‘Radikale Partei’, eine den deutschen Grünen jener Jahre ähnliche Sammlungsbewegung links-alternativer Gruppierun-gen, ohne jemals den Anschluß an die darin gleichfalls formierte italienische Schwulenbewegung zu suchen. Ihre Emanzipationsanstrengungen waren für ihn Teil der konsumistischen Kulturvernichtung. Alberto Moravia sagte über sein Verhältnis zu anderen Schwulen: "Er war sehr reserviert. Er mochte sie auch, je nachdem, wer es war. Pasolini war intelligent, deshalb erkannte er gleich die Schwätzer und die aufrichtigen Menschen".(39) Im Gegensatz zur landläufigen feministischen Kritik am Mann Pier Paolo(40) drückte sein Desinteresse an emanzi-patorischen Prozessen die Wertschätzung der alten Geschlechterdifferenz aus. Trotz der auch hier stattfindenen Opfer, die er detailliert in seinen neorealisti-schen Filmen wie "Acatone" und in den frühen Romanen nahebringt, befand er die Vor-Konsumismo-Verhältnisse immer noch für differenzierter und damit glückvoller und lebensspendender, als dessen Verklumpungen, worin alle nur darum kreisen, möglichst konsumförmig zu werden.

Ein Präraffaelismus, der sich über ein Jahrhundert spannt, von der industriellen Revolution zu ihren gleichgemachten Kindern, deren Gott der eigene Bauch ist? Zum Thema Abtreibung scherte Pasolini besonders pointiert aus seiner linken Umgebung aus. Während er in vielen Auseinandersetzungen des Italiens seiner Zeit mit der ‘Radikalen Partei’ und oder den italienischen Kommunisten um Frieden und die Rechte der Schwachen kämpfte, war Abtreibung in seinen Augen würdeloser Mord. Er sah darin den technischen Versuch, fortpflanzungsunbehin-dert konsumförmig zu sein. Legale Abtreibungen alsTeil der apokalyptischen Vollendung des Faschismus im Konsumismus, das, was der späte Monopol-kapitalismus den Individuen in ihre Sinne brennt.

Was speziell deutschen Ohren als ultrakonservative Position christlicher Lebens-schützerInnen erscheinen mag, markiert im Kontrast zu solchen Schmalspur-ideologen Pasolinis "gnostischen Katholizismus", der mit Moravias Idee, Pier Paolo unter die Präraffaeliten zu reihen, treffend umrissen ist. Moravias Schaffen gehörte dem antifaschistischen ’Neorealismo’. Seit seinem Debut-Roman ‘gli indifferenti’ 1929, wußte er den Faschismus in seinen Mutationen nach dem II.Weltkrieg als Armut und Niedrigkeit der Verhältnisse zu enttarnen. Verbote und Behördenbarrieren bestimmten das gesamte Wirken dieses großen Linken der italienischen Literatur.

Pier Paolo dagegen wurde nie wegen seiner Sozialkritik verboten. Stets ging es um den Skandal der Körperpolitik seines Lebens-Ausdrucks, um die Unerträg-lichkeit seiner Kotsäule. In seinen Texten und Filmen formulierte er den totalitä-ren "Konsumismo" als Perfektion faschistischer Inkarnation, die den Weg über die Seelenstruktur in den genetischen Code nimmt.(41) Hatten Armut und Kleinverbrechen noch die Differenz zwischen dem status quo und einem Glück, das seinem Namen nicht spottet markiert(42), schmolzen nun die Jahre wachsenden Wohlstands alle Wünsche als Konsumismus ein. Täter und Opfer wurden von diesem Moloch als ultimativer Holocaust unglücklich versöhnt. Den Gestank dieses Plasik verschmorenden Müllhaufenfeuers und die Ästhetik der Häßlichkeit solch falscher Versöhnung markieren seine Sehnsucht nach ‘bellezza e poverta’. Aus den stolzen Taschendieben der Differenz waren Berufsverbrecher der Gleich (gemacht)heit mit Sekretärin geworden, aus den gebrochenen Schönheiten der Klassengesellschaft Normgeschmack von der Konsumstange: "Jetzt aber...sehen alle so aus, als kämen sie direkt aus einem Bekleidungsgeschäft...die Sprache dieser Kleidungsstücke...als würde noch das Preisschild an ihnen haften...nicht weniger vielsagend als die Sprache der Körper und der Haare...das stille Leuch-ten grenzenloser Zufriedenheit, gleichzeitig mit dem wilden Licht dessen, der aus dieser blinden Hörigkeit gegenüber dem Modell herrührende schlechte Gewissen mit einer häretischen, revolutionären Unruhe verwechselt...ein entwürdigendes und beklagenswertes Phänomen von Klassenversöhnung, und damit ist alles gesagt." (43) Der dramatische Untergang einer in die Sinne hinein durchkapitalisierten und so vollendet faschisierten Welt ließ diese wie ein konturloser Brei zerfließen. Ohne Differenz kein Glück.

 

Pasolinis politische Mystik

 

                                        tragischer (iii)
gnostisch-(i)

                      Verleimung        apokalyptischer (iv)   Liebe zur verletzten Welt
                                                               im Selbst-Aus-Druck
-römische(ii)
                                        Passions- (v)



(i) nicht als Haß auf die Welt mit     (ii) nicht als "Lebenspositivismus" mit funda-
"Läuterung" als Pneuma-Suche u.             mentalistischer"Läuterung"/Verdummung
Dualismus

 

i) Pasolinis Gnosis kennt keinen Dualismus oder gar das alchimistische Präparieren von Pneumapartikeln aus der materiellen Erdenschwere. Sie führt alle Mysterien auf eine schlichte Urszene zurück "die erfunden sein kann und sämtliche Hypothesen der Gelehrten umstößt: sie ist auf einen unbedeutenden, enttäuschenden Akt reduziert, und gerade deshalb außerordentlich bedeutsam, wie wenn ein auf ein Grab gestelltes Glas umgekippt würde, unter dem sich das eigentliche Totenreich ausdehnt usw., eine rituelle und befreiende Handlung -eben befreit von jedem logischen Sinn und jeder logischen Mechanik (auch von der Logik der Traumsymbolik) (44)

ii) Pasolini verkörpert so das katholisches "Et-Et", die complexio oppositorum, in einer postmodernistischen (45) Erweiterung. Weniger die Alternativen, z.B. Athen oder Jerusalem, dionysische Tragik oder apokalyptische Opferkritik, sondern ihre römische Synthese in Pier Paolos persönlicher Fassung, nämlich ohne aus ihr irgendeine mystische Phantasie auszuketzern, die den Humus menschlicher Vielheiten ausmachen könnte. "Dafür könnte ich einen frühen indischen Mythos bearbeiten oder einen afrikanischen oder einen polynesischen, in dem, grob angedeutet, die Elemente des mediterranen und christlichen Mythos enthalten sind usw."(46)

iii)Tragik faßt er mit Nietzsche als "das Zerbrechen(-Müssen) des Individuums, sein Einswerden mit dem Ursein" (47) als tragisches Existenzial und die Individuali-tät als Maske des apollinischen Scheins, der den Schmerz in die Einsicht dieses Prinzips lindern soll. Die tragische Heiterkeit entsteigt dieser Linderung durch die Schönheit des Scheins/der Erscheinung. Deren Erfüllung ist der dionysisch-orgiastische Taumel des tödlichen Übergangs (zu einem Neuanfang der Geschich-te.) Der tragisch-dionysisch Initiierte lächelt daher in der Einsicht des Nichts veranstalteter Sozialität angesichts der Realität des Verlöschenmüssens und wendet sich der Welt "mit aufklärerischer Geduld in der Praxis" wieder zu, mangels machbarer Alternativen. "Eine Erfahrung dieser Art hat den Autor zu diesem Roman inspiriert"(48)

iv) Das Pier Paolo "nicht weniger heilige", dem orgiastischen Zerstören (Über-gang zu einem Neuanfang) "diametral entgegengesetzte" (49) Gericht (ohne geschichtlichen Neuanfang) enthält die Tradition Jerusalems: "Die Juden sind einmal stolz gewesen auf den abstrakten Monotheismus, die Ablehnung des Bilderglaubens, die Weigerung, ein Endliches zum Unendlichen zu machen. Ihre Not heute verweist sie darauf zurück. Die Respektlosigkeit vor dem Seienden, das sich zum Gott aufspreizt, ist die Religion derer, die im Europa der Eisernen Ferse nicht davon lassen, ihr Leben an die Vorbereitung des Besseren zu Wenden."(50)

Es geht Pier Paolo zwar um einen Neubeginn der Geschichte, aber die laufende hält er nicht für revolutions- oder reformfähig, denn es "wurde ihm klar, daß, wenn diese Jungs und Jugendlichen so geworden waren, sie die Möglichkeit gehabt haben mußten, so zu werden: ihre Entwürdigung entwürdigte mithin auch ihre Vergangenheit, die demnach nichts weiter war als Betrug...daß diese Jugendlichen und Jungs ihre Entwürdigung mit ihrem Blut bezahlen würden: als Hekatomben, was ihre anmaßende Illusion von Wohlstand auf brutale Weise lächerlich gemacht hätte."(51)

v) Die Formen seiner Passionsmystik sind sehr vielfältig. Eine davon ist die "Vision Merda" aus Petrolio (52), auf die der vorliegende Text besonders häufig Bezug nimmt. Ihre Form, als wesentlicher Zug ihres Inhalts, ist der erste Teil von Dantes "divina comedia", das Inferno. Diese Jenseitsreise kommuniziert zwar als Werk der Renaissance mit antiken Vorbildern, bleibt aber qua "Hölle" (als ewige und persönliche Konsequenz ursprünglich jüdischer Apokalyptik), "Purgatorium" und "Paradies" incl. "ecclesia triumphans" (53), eine genuin christliche Schöpfung. Der Topos "Hölle" impliziert die bewußte Verwerfung der Einlassung Gottes auf die Welt bis in deren tiefsten Punkt: das Scheitern des Mensch gewordenen Gottes (= sein Geopfert-Werden) am Kreuz (mit der Doppelbedeutung von natürlichem Verfall und sozialem Tod). "Hölle" wird gedacht als gewählte (Filmschnitt!) Verewigung dieses Scheiterns durch den Täter, statt dessen Umkehrung in der Hingabe an die kontaminierte Welt, als liebender Ausdruck im Engagement für die Opfer bis in deren und den eigenen Tod.

Die Passionsmystik Pasolinis wird explizit in seiner Identifikation mit dem Gekreuzigten, besonders als in der Verfilmung des Matthäus-Evangeliums die Maria unter dem Kreuz von seiner eigenen Mutter gespielt wird in einer Pose nach Lucas Cranach.

"Christus fühlt im Leibe
Geruch des Sterbens
wehen.
Ach, welcher Graus
sich weinen zu hören!
Maria, Maria,
unsterbliche Morgen,
wieviel Schmerz...
Ich war ein Knabe
und heute sterb’ ich.

Christus, Dein Leib,
Dein Mädchenleib
wird gekreuzigt
von zwei Fremden.
Es sind zwei lebend’ge
Burschen und rot
sind ihre Schultern,
blau ihre Augen.
Sie schlagen die Nägel
und es bebt das Tuch
über Deinem Schoß...
Ach, welcher Graus,
mit dem warmen Blut
euch zu beschmutzen
die morgenweißen Leiber!
Wäret ihr Knaben,
und um mich zu töten
ach, wieviel Tage
fröhlicher Spiele
und Unschuldigkeiten.

Christus, für den Frieden
Deines Leidensganges
war Dein Blut
nackter Tau.
Heiterer Dichter,
verwundeter Bruder,
Du hast uns gesehen
mit unseren herrlichen Körpern
in Nestern
der Ewigkeit!(54)

Das Verhältnis von Gnosis und Katholizismus bleibt Pier Paolos "Oxymoron" als Vieldeutigkeit seines Selbst-Ausdrucks vom Tode her: sowohl Simone Weils "euphorisch-positive Atheologie" (55), als auch eine negative Passionsmystik(56) einschließlich apokalyptischer Gerichtserwartung mit tragischer Heiterkeit und Orgiastik "hieroglyphisiert" er zum Lebens-Text seines Selbst-Aus-Druckes.
Als "Bevorwortungswahnsinn"(57) bleibt die Frage offen: wo-vor!?(58)

Der Präraffaelit Pasolini suchte durchaus auf "kirchlichen" Wegen, deren Spuren ihn wesentlich ausmachten, wie er häufig anmerkte. Gleichwohl wandte er sich in aller Schärfe von der aktuellen Kirche ab, die mit ihrer Einpassung in den Konsumismo "sich selbst", nämlich das Mysterium, abgeschafft habe. Im Ver-gleich zu heute schätzte er die Irrationalität ihrer früheren Epochen, weil Kirche ehedem vermochte, eine aktuelle Gestalt des Mysteriums "in der Welt, nicht von der Welt" zu bilden. Per Mysterium konnten die Menschen aus dem gekreuzigten status quo der jeweiligen Knechtschaftsformen mit tragisch-apokalyptischem Stolz das Haupt zu erheben. (Als stolzer "Dieb" füherer Zeit, in den "Lumpen der plebeijschen Metropole" (59) oder -überholt-vorraus- in Pier Paolos verbotenen Spielen mit den Borgatejungs nach dem Fußball im Halbschatten.)

Auch wenn er gelegentlich für den Osservatore Romano arbeitete, stand Pasolini der real existierenden römischen Kirche also angewidert gegenüber. Dennoch beschreibt er in der ‘Vision Merda’, den weltlichen, postkirchlichen Geist als XII: Höllenkreis: "Die Unwissenheit des Vatikans ist über Jahrhunderte das Modell der Unwissenheit des Volkes gewesen. Eine ganz auf Zweckmäßigkeit ausgerichtete Unwissenheit..., der der amerikanische Pragmatismus und sogar der fanatischere provinziellere Behaviorismus ‘einen abwichsen’. Nun aber, da der Vatikan aufgehört hat zu existieren, ist seine Unwissenheit geblieben, in der es auf Grund einer durch und durch unreligiösen Zweckmäßigkeit ... leicht ist, das Wort vom Hedonismus und vom Materialismus amerikanischer Prägung.... kennzeichnend für die gesamte neue Zivilisation, zu verbreiten." (60) Fortsetzung folgt im XIII. Höllenkreis der Neuen Familie, "deren Geist...nichts mit der christlichen Familie zu tun hat, d.h. mit der kleinbürgerlichen Familie, die sich nach dem Schema der ihr vorausgegangenen bäuerlichen Familie gebildet hat: die Familie als Clan, Höhle, Schutz vor dem Schrecken des Wirtschaftselends... Während die Elendsfamilie von der katholischen Kirche gesegnet wurde, die dort ihre gewohnt kriminelle Unwissenheit hinterlegt hatte, emanzipiert sich die neue Wohlstandsfamilie von der katholischen Kirche, die ihr, historisch gesehen, nichts anderes als Erbe hinterlassen hat, als die oben angesprochene Unwissenheit." (61)

Als Mysterium auf die Welt angewandt hielte Kirche deren Potenzen offen auf eine Zukunft des Glücks der Materie. Darum ist die Passion inclusive österlicher Löcher als leere Gräber (z.B. der "Bevorwortungswahnsinn" in Petrolio s.o.) privilegierter Stoff vieler seiner Gedichte, Teil von Romanen und Filmen. Die "gewohnt kriminelle Unwissenheit" des Vatikans dagegen bildet dessen Kumpanei mit der Macht und aktuell mit der Macht der Eindimensionalität des Konsumismo in Gestalt einer Politik für und mit der Democrazia Christiana. Pasolini sucht die Wahrheit in der mystischen Tiefe der drei spezifisch abend-ländischen Komponenten apokalyptisch, tragisch und opferkritisch. Alle drei prägen Hingabeformen an die Stofflichkeit der Welt aus. In seiner (und meiner) Lesart richten sie klare Absagen an spiritualistische Hinterwelten: Entweder gibts ein Glück mit dieser Welt oder es interessiert nicht. Nicht nebenbei bildet diese Trias aus Jerusalem, Athen und Rom in einer vermischten Verbindung das, was als römischer Katholizismus etabliert ist. Das unvermischte Gewebe des Pasolini-Opus jedoch, das die einzelnen Fäden zu (s)einem Ausdruck bringt, wird bis heute derart ketzerisch empfunden, daß er trotz tragischer Bejahung dieser Welt und passionierter Hingabe an ihre Materie auch in gnostischer Tradition steht. Gnosis als trotziges Bestehen auf der Bedeutung des "Geschauten" für sich und die Welt reiht ihn neben Hildegard von Bingen (62), Katharina von Siena (63)und Teresa von Avila (64) in die Phalanx unverstandener Mystikerinnen, katholischer "Gnostikerinnen", die das Unsagbare, das "Mysterium", auf die Zeit und die Vertreter der Macht anwandten und deren Aus-Druck als ihre Einschrift in die Steine der Welt tiefer reicht, als jedes Epitaph. Das Oxymoron "Petrolio" soll an die Stein-Ölgeschäfte des Textes der kontaminierten Welt erinnern und klingt im Italienischen nach obsessiven und schmierigen Sauereien.

Alchimistische "Gnostiker" vergangener Jahrhunderte haben versucht, aus Scheiße Gold zu machen. (Der Welt und darin seine eigenen) Exkremente sind auch Pier Paolos Material. Müll und darin die Scheiße selbst nehmen einen breiten Raum ein, von den ersten Romanen der 50er Jahre bis zu den letzten Zeilen des unvollendet gebliebenen "Petrolio". Aber er "kontaminiert" sich mit der verdauten, aus-gedrückten Welt in Hingabe an sie. Während die alchimisti-sche Gnosis, ähnlich wie der meanstream heutiger Esoterik, die Materialität der Welt als inakzeptables Exkrement des bösen Demiurgen brandmarkt, reizt gerade sie Pasolini zur Hingabe an die Düfte und Schmierigkeiten materieller Negation. Der sinnlichste Augenblick bei "Salo" ist das zelebrierte Auftragen des Diners aus vielen Gängen unterschiedlichster Kotformen und die ausgedehnte Schnüffel-orgie der Faschisten. Den m.E. wahrnehmbarsten Kuß aller Pasolinifilme, dessen Geschmack der Zuschauer von der Leinwand direkt in den Mund gespült bekommt, wird nach dem beschriebenen Diner gezeigt, als einer der faschisti-schen Peiniger das Objekt seiner Begierde mit verschissenem Mund gegen dessen Willen zu küssen versucht. Die beiden sind allein auf der Treppe. Die mildernde Öffentlichkeit des Orgienraums fehlt dem duftenden Augenblick. An dieser Stelle verlassen regelmäßig Teile des Publikums den Saal. Der Ekel vor dem Aus-Druck der Welt ist zu groß.

Völlig mißverstanden hat dagegen Johann Kresnik mit seiner Hamburger Inszenierung "Pasolini, Testament des Körpers" (65), warum es den sinnlichen Genuß der Scheiße im Pasolini-Opus gibt. Der Genuß der faschistoid verdauten Welt ist gerade keine konsumistische Dekadenz, wie er seine erwachsenen Babys es tanzen läßt, sondern die Einverleibung des Neuen nach/aus der Katastrophe. Das Essen der Scheiße ist eine kultische Teilhabe an dieser Wende der Opfer-Welt in Hingabe aneinander, von Pasolini eingesetzt wie bei der letzten Kommu-nion der eingeschlossenen Aufständischen in Vargas Llosas Roman "Der Krieg am Ende der Welt": im Angesicht der unausweichlich bevorstehenden Vernichtung durch das totalitäre System. (66)
In Petrolio entwickelt Pasolini nach vielerlei Geschlechtsverwandlungen und Kostümierungen das Scheißen noch deutlicher als Wandlungsmaterie, nämlich zur postgeschlechtlichen Gebärfreude erwachsener Männer, deren sedimentiertes "Wissen" aus der frühkindlicher Zeit vor der "phallischen" Phase im Entdecken der Parentallust beim Scheißen aus der abgesonderten Substanz "schreit". Pasolini konstruiert einen wechselseitigen Lehrvorgang von Pissen und Scheißen. "Der Mastdarm lehrt die Blase die Konservierung, und die Blase lehrt ihrerseits den Mastdarm die Großzügigkeit" (67) Er nimmt dabei "krankhaft übersteigert" eine Identifizierung der aufgerichteten Produkte des Schwanzes und des Arsches an, mit denen er als Auftakt der Geschichte in die LeserInnen einzudringen wünscht. "Die Erzählung (als phallisch-analer Samenerguß) befindet sich innerhalb der heiligen Abzäunung." Dem Heiligen nähert er sich mit der psychoanalytischen "Narrenposse" dieses Vorspanns, wie die Wilden "ihre streng reglementierte Annäherung an den Ort wo der Geist wohnt...ironisieren."(68)

Die Landschaft dieser Geburt "in einem gekrümmten, tiefen Tal, fast so uner-forscht wie ein Urwald"(69) ist darmartig. Etruskische und römische Überreste werden darin bröckelnd verdaut. Das christliche Tempelchen aus dem 3. Jhdt. ist so zugewuchert, daß Orlando "ein Wunder vollbracht haben" mußte, "um dorthin durchzudringen"(70). Die älteste Schicht dieses (eigentlich) Undurchdringlichen ist als Haselnußwald ein klassischer Heiliger Hain, es folgen Akantusfarne als antike Entsprechung und christliche Dornen-(Kronen-)Hecken vor Erreichung des Allerheiligsten mitten im "Darm". Ohne Dach, wie bei schamanistischen Heiligtümern, stellt dort der "schöne Heilige Eusoundso" als platonisches Modell des gesamten Vorgangs, zunächst San Rocco dar, der mit seinem ausgestreckten Zeigefinger über dem/"als" Schwanz auf die geheilte Pestwunde zeigt. Dann Zeus, der bei Ovid aus dem Schenkel gebiert und schließlich Dionysos, dessen Satyrn und er selbst für die christliche Ikonographie zu Teufeln wurden: "Babuloniens Satans-Patres tragen den Teufel zur Prozession."(71) Er ist von Figuren umgeben, die alle "auf glückselige Weise kopflos" sind, wie ein bacchantische Chor im Taumel der Fruchtbarkeitsorgie. Diese tritt hinter die leidvolle Individuation als Zerstückelung (z.B. in psychische Instanzen) des Gottes zurück und stellt die ursprüngliche Einheit lust- und gewaltvoll wieder her. Der Fruchtbarkeits- und Orgiengott wird mit seiner stilisierten Selbstzeugung postgeschlechtlich aufgefaßt, weder androgyn noch bisexuell. Pasolini setzt das Ergebnis dieses aus der Tiefe des Darms der Geschichte hervorgeborenen Zeugungsvorgangs als Wendepunkt. Die Mütter aus männlichem Darm "fanden sich unerwarteterweise mit etwas konfrontiert, das wir als göttliche Erscheinung des sich verzukünftigenden Gegenwärtigen bezeichnen könnten. Die Offenbarung"(72). Die Richtung dieser Mystik ist zwar dionysisch, aber nicht tragisch zurück gewandt, quasi vor die Kultur, sondern "durch" sie und ihre Zerstückelungen "hindurch"(73), ein Typus des "Christus-Dionysos" nach Nietzsche.

Seit de Sade sind die sportiv geordneten Verrichtungen der Lüste (Adorno) die vernünftige Offenbarung einer nutritiven Naturlogik als Kern aller Dinge und mithin des Menschen. Sades sinnliche Freuden sind folglich sadomasochistisch gefaßt, niedergelegt als Wichsvorlagen für den Inhaftierten(74). Die Glücklichen bei de Sade sind den griechischen Totengeistern gleich: in identifikatorischer Mimesis trinkt die sadistische Seele im Zuge der Wahrnehmung das Empfin-dungsblut der Gequälten und wird so zum Lust-Leben erweckt. Ebenso brauchen jene kalten, schattenhaften Toten des Hades den warmen Saft jener, die zum Zwecke ihrer Erweckung geopfert werden.

In seinem umstrittensten Film "Salo oder die 120 Tage von Sodom" macht Pier Paolo diese sadistische Gewalt zum Teil einer unterhaltenden Aufführung. Leo Bersani und Ulysse Dutoit sehen darin seine Akzeptanz einer persönlichen Mitschuld an dem real existierenden Faschismus. (75) Die sinnliche Ausstaffierung der Verdauungsprodukte (der Welt) bildet dabei den Umschlagpunkt der Materie aus dem Faschismus und zwar den Tätern ins empfindende Angesicht. Diese Wende (aus dem Opferzyklus in die Hingabe-spirale, vgl. Fußnote 71) beginnt, als Jesus in Gestalt der Misericordia Domini im Scheißetopf seinen Todesschrei psalmodiert. Er ist noch zu hören, als die beiden pubertierenden Hilfsschergen den Ostermorgen eintanzen:
"Wie heißt eigentlich deine Freundin?"
Die klassische Frage vormoderner Männer, wenn sie einander ein Begehren signalisieren. Auch kurdische Lüstlinge in Berliner Gebüschen und verheiratete Berliner ohne schwule Identität machen einander noch heute ganz ähnlich an.

Italiener sowieso. Die Antwort heißt: "Margarita!"Die wuchernde Frühlingsblume in den Farben des Vatikan, deren bekanntester Gebrauch im Auszupfen der Blütenblätter besteht, während die alles entschei-dende Frage zu rezitieren ist: "Sie liebt mich, sie liebt mich nicht, sie...?" Die Blume entwächst selbst der vom Faschismus zerdauten Welt und weist in die unausgeschöpfte Fülle und Pracht des Ausstehenden.

Sein letzter Film "Salo", sein unvollendetes Vermächtnis Petrolio und die Art seines Todes verkünden: Es gibt kein unschuldiges (Kunst)Schaffen mehr in der Moderne, die den mimetisch lustsaugenden Blick auf die Qualen und die Vernichtung der anderen richtet. Der Sitz des Filmzuschauers ist hart, wenn er dem faschistischen Mörder als Voyeur zuschauen muß, wie dieser per Opernglas das Niedermetzeln der Jugendlichen grinsend genießt. Dies steigert nur scheinbar der Positionswechsel an dessen Seite, wenn das Abfackeln eines Schwanzes oder das Ausstechen von Augen direkt gezeigt wird. All das läßt die Zivilgesellschaft ja außen vor. Unser "aufgeklärter", entsetzter Blick durchs TV auf die "Wilden" aber erschafft erst diese Perfektion der Macht, gegen die traditionelle Totalitaris-men Anfänger waren. Der slowenische Psychoanalytiker und Philosoph Slavoj Zizek beschrieb die Gewalt dieser "Denkschablone ‘zivilisierter Westen’ kontra ‘rückständiger Balkan’", um unsere Beteiligung an den Greuel des Krieges im zerfallenden Jugoslawien zu verdeutlichen: als gewalttätige Zuschauer mit Krokodilstränen in den Augen, die den Rest der Welt auf die Plätze verweisen. Ähnliche moralische Qualität eines aufgeklärten Mitleids fand sich jüngst bei den unappetitlichen Demonstrationen gegen Johannes Paul II, als er in Berlin zwei Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus selig sprach. Müßte dafür alles Nicht-Neuzeitliche niedergemacht werden, wäre die Ästhetik unserer befreiten Lüste wenig wert.

"Moralisches Bewußtsein ist die Replikation von ästhetischem Bewußtsein."(77)

(1) Giuseppe Zigaina: Pasolini und der Tod, Venedig 1987, S.27
(2) Zit.nach: Giuseppe Zigaina a,a,O. S.91. PP verteidigte sich auf einem Filmkongreß gegen den "Spiritualismus" Vorwurf eines marxistischen Teilnehmers
(3) PPP: Empirismo eretico, Milano 1962, S.319
(4) pastiche, plural von pasticca, die Pille (aus diversen Zutaten zu einer Wirksamkeit zusammengesetzt)
(5) Verbindung zweier sich im üblichen Gebrauch ausschließender Begriffe
(6) PPP fand in "seinem" dörflichen Friaul viele vergleichbare Anregungen. Über die schmerzhafte Geschichte des Geburtsortes hat er seine frühenGedichte geschrieben
(7) alle Bibelzitate aus: Die Heilige Schrift. Einheitsübersetzung, 6.Auflage Stuttgart 1991, hier: Ps 56, 9
(8) Die Hl.Schrift a.a.O. Ps 102, 15
(9) Gnosis wird m.E.zu Unrecht ausschließlich mit esoterischer Weltverachtung verknüpft. Ihre älteren Mythologien jedenfalls sind äußerst "materiell" und einzelne Gruppen, die von der jungen Kirche als Konkurrenz empfunden wurden, lebten ihre Frömmigkeit regelrecht orgiastisch. Hier bezeichnet "gnostisch" v.a. das Insistieren auf der Bedeutung von ungewöhnlichen Einsichten für die ganze Welt (versus "katholisch" oder "orthodox" durch eine Lehrautorität bestätigt.)
(10) P.P.Pasolini: Die Nachtigall der katholischen Kirche, ital. Original 1958, dt.Übers.1989, S.149-150
(11) H.Marcuse: Die Gesellschaft als Kunstwerk, 1967, S.865 ff.
(12) Zusf. nach H.Marcuse: Der eindimensionale Mensch, 1962, S.82
(13) P.Rottländer: H.Marcuses Herausforderung der Theologie durch die Transformation der Philosophie zur Theorie der Gesellschaft, Münster 1986 S.269
(14) H.Marcuse: Über den affirmativen Charakter der Kultur, 1937, S.205
(15) Zentraler Begriff aus 10)
(16) PPP: Petrolio, Verlag Klaus Wagenbach, 1994, S.465
(17) J.B.Metz als radikale Historisierung des katholischen Idealismus Karl Rahners
(18) Enzo Siciliano: Pasolini, Leben und Werk, 1994 ,S.178-186
(19) a.a.O. S.12
(20) Alberto Moravia, ein enger Freund Pier Paolos, gesellte ihn bei seiner Grabrede unter die "Präraffaeliten" Teile von Moravias Grabrede wurden am 2.11.95 anläßlich PPPs 20.Todestag in "arte" gezeigt.
(21) besonders Holman Hunt (1827-1910), Vgl: Maria Teresa Benedetti: I Preraffaelliti, Firenze 1986
(22) Marienlexikon, hrsg.v.R.Bäumer u.L.Scheffczyk, St.Ottilien 1988-93, Bd.5 S.292-293
(23) Marienlexikon a.a.O.Bd.4 S.586
(24) Wie u.a.die Unfähigkeit der Mehrheit von Episkopat und Gläubigen belegt, die europäischen Faschismen zu bekämpfen.
(25) Petrolio a.a.O. S.415
(26) Marienlexikon a.a.O. Bd.5 S.293
(27) Ein besonders in Frauenklöstern beliebtes Andachtsbild, das den Gekreuzigten als mütterliche Hinwendung Gottes zu den Menschen mit meist nackten Frauenbrüsten darstellt, u.a. unter Bezugnahme auf Jes 66,11u.13: "Saugt euch satt an Jerusalems Brust, trinkt und labt euch an ihrem mütterlichen Reichtum...Wie eine Mutter ihren Sohn tröstet, so tröste ich (Gott) euch (das Volk Israel), in Jerusalem findet ihr Trost. (Wo Jesus gekreu-zigt wurde und auferstand)
(28) G.Zigaina a.a.O. S.27
(29) A.Moravia in "Mein Freund Pasolini", Interview 1978 in Venedig, zit.aus "Testament des Körpers", Begleitheft zur Hamburger Kresnik-Inszenierung (s.u. ausführlich)
(30) und ihre heutigen Erben, die ums goldene Kalb der "schwulen Identität" tanzen und schaurige Mythen vergangener Zeiten tradieren, da es noch schmerzhafte "Coming Outs" gegeben haben soll und Schwulsein sich politisch verstand...
(31) Petrolio a.a.O. S.405
(32) Vgl.auch PPP: Freibeuterschriften, Milano 1975 S.19 ff: "Die anthropologische Mutation/Die Sprache der Haare
(33) Zentraler Gedanke aus G.Bataille "Die Tränen des Eros"1981 S.73 ff
(34) Petrolio a.a.O. S.339-358
(35) Petrolio a.a.O. S.86
(36)wie es die Lüstlinge der Texte George Batailles müssen, um den Kreislauf der diskontinuierlichen Individuen aus dem kontinuierlichen Strom des Seins und wieder dahin zurück als "Mysterium tremendum" in der Opferung des begehrten Objektes zu "schauen".
(37) Batailles Beruf
(38) Petrolio a.a.O. S.358
(39) A.Moravia: Mein Freund Pasolini, Interview 1978, a.a.O. S.39
(40) Er sähe Frauen ohne Interesse aus homosexuell-gelangweilter Perspektive
(41) Hier ist die Geistesverwandtschaft mit H.Marcuses "Eindimensionalem Menschen" greifbar
(42) Petrolio a.a.O.S. 454-457
(43) Petrolio a.a.O.S.414-416
(44) Petrolio a.a.O.S.653. Diese Äußerung belegt, daß PPP weit über C.G.Jung oder Mircea Eliade hinaus entwarf, wenn er seine Mystik darstellte! (Zigaina behauptet in seinem mehrfach zitierten Buch, daß PPP ein folgsamer Jünger beider gewesen sei.)
(45) Innerkatholisch entstand nach der Enzyklika Papst Pius des X. "Pascendi" vom 8.9.1907 eine generalstabs-mäßig veranstaltet Gesinnungsschnüffelei gegen den "Modernismus" des herrschenden Zeitgeistes unter den Klerikern. In einem den Präraffaeliten und auch Pasolini verwandten Abscheu vor den Ausgestaltungen der Moderne wurden am Beginn des 20.Jahrhunderts unter Federführung von Kurienkardinälen Neuerer inquisito-risch denunziert, aus Ämtern entfernt oder exkommuniziert. Mit der einsetzenden Postmoderne in Literatur und Philosophie, zeitgleich zum Pontifikat des "Kirchenfenster-öffnenden" Reformpapstes Johannes XXXIII. (1958-63) wurde diese Tendenz beendet, besonders mit dem "Dekret über die Religionsfreiheit" des II.Vatica-nums. Mit dem Kunstwort "postmodernistisch" sei also Pasolinis Fähigkeit bezeichnet, ohne revanchistische Praktiken inmitten der späten Moderne an Mystischem und Überlebtem festzuhalten und das Mysterium in nach-modernem Vagantentum auf eigene Gefahr zu plazieren, ohne "Kirche" und mit tödlichen Folgen wie Jesus Christus.
(46) Petrolio a.a.O.653, Fortsetzung des Zitats 37
(47) F.Nietzsche: Die Geburt der Tragödie, Reclam 1993, S.56
(48) Petrolio a.a.O. S.488
(49) Petrolio a.a.O. S.476
(50) Horkheimer in "Die Juden und Europa" New York 1939
(51) Petrolio a.a.O. S.470
(52) Petrolio a.a.O. S.393-478
(53) Dante Alighieri: Die Göttliche Komödie 2.Teil: Der Läuterungsberg, 29. u. 30. Gesang
(54) PPP: Die Nachtigall der kath.Kirche a.a.O. S.9-11
(55) Macho/Sloterdijk: Weltrevolution der Seele, Zürich 1993, S.503
(56) während religiöser Positivismus zur indikativischen Heilsgewißheit und damit zum Fundamentalismus tendiert, bindet "negative Theologie":ihre "optativische" Suche an das, was leider nicht ist, an ein Heil, das (noch?) aussteht, an die stattfindende Härte der erzwungenen/ (dar)gebrachten Opfer. Auf dem Feld der Lüste beginnt PPs mystische Suche daher. "in" resp. "durch" die immer machtgeprägten sexuellen Verrichtungen "hindurch"."Die Macht der Politik und die des Körpers waren eins."( Petrolio a.a.O.S.234), ganz ähnlich bei M.Foucaults Körperpolitik und seiner Suche nach einem "Strand der Lüste unterm Pflaster der sexuellen Verrichtungen" (Vgl. Interview "Nein zum König Sex")
(57) Petrolio a.a.O.S.655
(58) In allen "positiven" Formulierungen, die ich hierzu finden konnte, hat PPP Jenseitshoffnungen jeder Ausprägung von sich gewiesen.
(59) beides Teile der "Vision Merda", die Berufsverbrechertum und Mode für alle von der Stange als Höllenerfahrung dagegenhält.s.o.
(60) Petrolio a.a.O.S.435
(61) Petrolio a.a.O.S.437
(62) Hildegard (1098-1179) bestand seit frühesten Mädchentagen auf ihren eigenwilligen Visionen, die sie erst als erwachsene Nonne niederschreiben ließ. Ihre mystische Schau brachte sie mehrmals in die Nähe inquisitori-scher Verfolgung. Sie wurde erst im 19.Jhdt. heiliggesprochen, weil viele Kirchenmänner ihrer ungewöhnlich leibbezogenen Philosophie mißtrauten und viele Textpassagen bis heute äußerst unterschiedliche Interpretationen finden. (Wie PPPs Oxymora)
(63) Katharina (1347-80) war gleichfalls mystisch begabt und als Verfolgungsgefährdete wie Hildegard, die ebenfalls den führenden Männern ihrer Zeit die Leviten las, dennoch stark genug, den Papst aus Avignon nach Rom zurück zu holen.(Wie PPPs politische Einmischungen zeitlebens, oft auf den Titelseiten der wichtigsten italienischen Zeitungen)
(64) Teresa (1515-82) hatte Visionen, die ihren ganzen Körper einbezogen und öffentlich mitten unter ihren Karmelitinnen von der Verwandlung der Lebensschmerzen in himmlische Lüste zeugten. Stets kränkelnd wie die beiden vorher genannten Klosterfrauen, war auch sie weltpolitisch aktiv und erfolgreich.
(65) letzte Aufführung im Deutschen Schauspielhaus war am 12.6.96. M.E. führt auch der Gesamtansatz seiner Pasoliniinterpretation am Sujet vorbei, das mit keiner psychoanalytischen Triangulierungsphilosophie zu fassen ist. Wie unsinnig die Kresniksche Christus-Deutung ist, habe ich oben gezeigt.
(66) Der religiös-politische Führer der Aufständischen scheidet nur noch dünnflüssig aus und liegt im Sterben. Sein engster Vertrauter "netzte die Finger in dem Wässerchen und führte sie an den Mund. ‘Soll so dein Diener kommunizieren, Vater?’ psalmodiert er. ‘Ist dies nicht Tau für mich?’ Alle frommen Frauen des Heiligen Chors kommunizierten wie er." Vargas Llosa, Der Krieg am Ende der Welt, Frankfurt/Main 1987, S.651
(67)Petrolio a.a.O. S.530
(68) a.a.O. S.530
(69) a.a.O. S.535
(70) a.a.O. S.536 (wie der göttliche Samen beim Hymen-erhaltenden Weg in die Jungfrau)
(71 )PPP zitiert G.Faldella, Petrolio a.a.O. S.335, Fußnote
(72) Petrolio a.a.O. S.538
(73) Während die Opfer zur Erhaltung der Fruchtbarkeit deren Zyklus verewigen halfen, ist diese neue Ordnung christlicher Opferkritik als Hingabe an die Opfer in ihrem Veränderungsprozeß spiralförmig nach vorne geringelt, bemüht, der nutritiven Logik des Fressen-und Gefressenwerdens zu entkommen.
(74) Worin er dem Museumsdirektor Bataille in seiner wiederholenden Stereotypie gleicht.
(75) Leo Bersani/Ulysse Dutoit: Merde Alors in: Stanford-Italian-Review Saratoga CA (Stir.). 1982 fall 2:2, S.89
(76) Slavoj Zizek: "Zynismus als Form postmoderner Ideologie" in: Frankfurter Rundschau vom 17.8.1995, S.7
(77) Bersani/Dutoit: Merde Alors a.a.O. S.92